Festredner und Verfasser des Textes Wilfried Schaaf
Sehr geehrte Festgäste, liebe Sportfreunde des TuS Wachenheim!
Wir sind heute zusammengekommen, um eine Fahne zu weihen: die Fahne des TuS 1883 Wachenheim, unserem Turn- und Sportverein. Und sicher stellen sich viele – dabei ganz besonders unsere Jugend - die Frage: Warum wird eigentlich eine Fahne geweiht? Und außerdem: Hat so etwas heutzutage überhaupt noch Sinn? - Dazu kommt noch, daß es streng genommen überhaupt keine NEUE FAHNE ist, die da geweiht werden soll, sondern unsere gute alte Vereinsfahne aus dem Jahre 1898, nur in einem neuen, schönen Kleid. Also erst recht: WARUM FAHNENWEIHE? Immer schon war eine Fahne ein Symbol, das heißt, ein Zeichen für einen Begriff, oder eine Idee. Weil wir aber in einer Zeit leben, in der Symbole immer mehr abgeschafft oder zumindest angezweifelt werden wollen wir uns ruhig auch DIE Frage stellen: WO ist denn eigentlich die Bedeutung UNSERER Fahne? Wir wissen aus der Geschichte, daß Fahnen schon vor römischen Legionen hergetragen wurden, daß sie umkämpft und erobert wurden; - auf die Fahne wurde ein Eid geleistet, nach dem man für sie sogar sein Leben lassen sollte! Die Fahne zu tragen war eine hohe Ehre, Fahnenflucht war ein Verbrechen, Verlust der Ehre! NEBEN dem hauptsächlichen kriegerischen Einsatz der Fahne war diese aber auch sichtbares Zeichen der MACHT: Staaten und Nationen wählten bei ihrer Gründung ein Symbol, das dann zu ihrem KENNZEICHEN wurde: der preußische Adler oder der bayerische Löwe wurden geschichtliche Begriffe und heute ist ein Land ohne seine Flagge überhaupt nicht denkbar. Aber auch BESITZ UND EIGENTUM wurden durch die Fahne demonstriert: aus der Zeit der Eroberung von Ländern und Kolonien, auch bei Erstbesteigung von Bergen kommt die Bedeutung der dort aufgepflanzten Fahne als Ausdruck des Anspruches oder Rechtes auf EIGENTUM. So erinnern wir uns alle an die Bilder jüngster Zeit, als im Fernsehen die ersten amerikanischen Astronauten den Mond betraten und ihre ersten Handlungen war, die Flagge der USA zu hissen! Auch auf ANDEREN GEBIETEN wurde die Fahne Ausdruck eines Gedankens: zum Beispiel das Rote Kreuz als weltweites Zeichen für Hilfe und Rettung oder die weiße Fahne als Signal der Unterwerfung oder des Friedens. Die rot-weiße Fahne der deutschen Turner wurde geboren als Friedrich Ludwig Jahn, der 1778 bis 1852 lebte, im Jahr 1810 in Berlin mit seinen selbsterfundenen Geräten -nämlich Reck und Barren - den ersten Turnverein gründete. Seine Devise war: FRISCH, FROMM, FRÖHLICH, FREI und unter diesen VIER "F" sammelten sich dann die Turner und machten diese Devise zu einer Art Richtschnur ihrer Lebensauffassung. In Wachenheim wurde unter diesem Leitgedanken im Jahre 1883 der Turnverein gegründet und stolz konnten seine Mitglieder 15 Jahre später, nämlich am 12. Juni 1898 ihre Vereinsfahne einweihen. Die gestickte Inschrift lautete: Wer seinen Körper stählt, pflegt seine Seele – wahrscheinlich in Anlehnung an den Gedanken, der schon bei den Römern bei dem Wort Pate stand: daß in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnt.
Denken wir einmal heute, in einer fast nur noch materiellen Zeit darüber nach, was es einmal bedeutete, wenn der Wunsch nach einer Fahne Wirklichkeit werden sollte: mühsam mußten kleinste Pfennigsbeträge gespart und gesammelt werden ! Es war ja nicht wie heute, wo Beiträge für Spendenlisten an der Steuer abgesetzt werden, oder wo man bei der Staats- oder Gemeindekasse einen Antrag auf eine Fahne stellt, der dann auch bezahlt wird. Es war keine Zeit, wo es, wie heute, keine Rolle spielte, ob für eine Sache, die einem Spaß machte, 10,- oder 20,- DM ausgegeben wurden ! Wenn damals " der WORM die Trauben gefressen hatte", waren die meisten Wachenheimer fast ein Jahr lang so gut wie ohne Einkommen! Da war es schon eine Riesenunternehmung, die 350 Goldmark, die die Fahne kosten sollte, zusammenzubringen. 350 Goldmark, zu einer Zeit, als ein Winzer für eine Logel Most 5,- bis 6, - Mark erhielt - je nach Qualität des Jahrgangs - und als der Stundenlohn eines landwirtschaftlichen Arbeiters ganze 16 Pfennige betrug! Als dann diese Riesensumme beisammen war, erhielt die Fahnenstickerei Albrecht in Kaiserslautern den Auftrag, nachdem sie der Generalversammlung des Turnverein eine Zeichnung in Originalgröße für die Stickerei vorgelegt hatte. Und dann kam der Tag der Fahnenweihe, der laut Vereinschronik ein denkwürdiger Tag war. Ich möchte Ihnen die damalige Schilderung im Originaltext vorlesen: "Festplatz war der Schulhof; die Wirtschaft führte mustergültig Heinrich Niedhammer, Musik stellte die Kapelle Allbach. 400 Turner hatten ihr Erscheinen zugesagt, Häuser und Straßen waren reich geschmückt. Festlich gekleidete Jungfrauen trugen die Fahne, umgeben von kranztragenden Mädchen. Ehrenmitglied Bürgermeister Rettinger begrüßte die große Zahl der Gäste. Fräulein Minna Rettinger überreichte dem ersten Fahnenträger Jakob PETER und seinen Begleitern , Michel MORELL und Philipp GOBEL die Fahne. Vorstand RUPP hielt die Weihrede und bezeichnete die Fahne als ein Symbol der Treue zum Verein und zu der Turnsache. Bezirksturnwart MEYER, Frankenthal, als Obermann für das Preisturnen am Vormittag, lobte die ganz vorzügliche Leistung und Haltung der Teilnehmer. Am Abend war Festball im DALBERGERHOF und montags Nachfeier im Garten von NIEDHAMMER . . . . . " Werden wir nicht ein bißchen neidisch, wenn wir uns DAS jetzt fast 100 Jahre später vorstellen und mit HEUTE vergleichen?
Ab diesem Zeitpunkt begleitete die Fahne den Verein bei allen markanten Ereignissen durch die Vereinsgeschichte. So z. B. als 1908, zur Feier des 25-jährigen Vereinsbestehens 30 Gauvereine im Festzug durch Wachenheim marschierten, wobei 167 Turner die Wettkämpfe bestritten. Zu diesem Anlaß war die Fahne mit einer von Wachenheimer Frauen und Jungfrauen gestickten Schleife geziert worden! Die jährlich abgehaltenen Turnfeste in Wachenheim, die Feste befreundeter Vereine, bei denen die Wachenheimer Gerätturner glänzten - die Fahne war dabei. So zeigt z.B. ein altes Foto einen Teil der Wachenheimer Riege im Jahr 1922 beim Kreisturnfest in Speyer; .1928 beim Deutschen Turnfest in Köln, sowie auch 1933 beim Deutschen Turnfest in Stuttgart war die Fahne mit einer stattlichen Delegation Wachenheimer dabei. Sogar nach Breslau fuhren 1938 fünf Wachenheimer mit! - Mittlerweile bestand der Turnverein nicht mehr nur aus Turnern im engeren Sinn des Wortes: der Fußball hatte auch in Wachenheim seinen Einzug gehalten. Und ab 1934 kämpfte auch der 1920 gegründete Fußballverein "PHÖNIX WACHENHEIM" unter der gleichen Fahne. - Es würde jedoch zu weit führen, hier die vielen Wettkämpfe und sonstigen Begegnungen aufzuzählen die mit oder unter dieser Fahne stattgefunden haben. ' In all diesen Jahren wurde die Fahne alt und schwach, der Stoff verschlissen - wenn auch immer sorgfältig in der Hülle verpackt beim jeweiligen Vereinsvorstand aufgehoben! Ich sehe hier in dieser Runde so einige Wachenheimer, in deren Häuser sicher eine ähnliche alte Truhe wie bei uns stand, in der dann "DIE FAHNE" bis zum nächsten Ereignis ruhte ! Als dann die ersten Überlegungen zu dem nun in drei Jahren fälligen 100-jährigen Vereinsjubiläum diskutiert wurden, fragte man sich, ob nicht der Verein zu diesem Anlaß eine schöne neue Fahne haben sollte. Doch damit hätte man sich halt von der alten, traditionsreichen trennen müssen. Nach langen Diskussionen, Erwägungen, Rechnungen, Für und Wider nahm dann der TUS Verbindung mit der Karlsruher Fahnenfabrik KREISEL auf. Es kam zu einem Treffen mit dieser Firma bei dem der 78-jährige Seniorchef sich die alte, kaputte Fahne besah . .. und er war begeistert von dem guten alten Stück! Sein Vorschlag: es wäre doch jammerschade darum! So eine schöne Fahne würde er gerne reparieren und sie damit "wie Neu" machen! Wie wir sehen: es ist ihm gelungen ! Es sei an dieser Stelle Herrn Kreisel gedankt für seine heutzutage so seltene, nicht nur nach dem Profit orientierte Einstellung! Und weil damit aus UNSERER GUTEN ALTEN FAHNE eine so gut wie neue Fahne wurde, soll sie auch nach alter Tradition geweiht werden!
Unsere heutige Fahnenweihe findet statt zu einem Zeitpunkt, wo aus allen möglichen Gründen und aus allen möglichen Ecken das Wort RÜCKBESINNUNG gehört wird. - WIR Sportler machen keine Politik, wir wollen keine Vereinsmeierei betreiben und nicht die Zeit zurückdrehen. Aber zu dem heutigen Anlaß ist vielleicht etwas Rückbesinnung gar nicht schlecht: Rückbesinnung zum Beispiel auch auf die viel diskutierten, ins Lächerliche gezogenen und oft bewußt verfälschten Begriffe TRADITION und IDEALE. Wie würde denn eine Welt ohne diese aussehen? Sind es nicht Begriffe, die heute etwas zu kurz kommen? REICHT für uns - und ganz besonders für unsere Jugend - das Streben nach AUSSCHLIESSLICH materiellen Werten? Ist sie glücklicher mit all ihren erfüllten Wünschen – das heißt glücklicher als wir und die VOR uns waren? Wäre es denn so übel, wenn so eine Fahne wieder zum Symbol im besten Sinne des Wortes würde, das heißt, einem Symbol, für das sich wieder ein paar mehr von uns einsetzen würden, OHNE dafür Vorteile oder ein Pöstchen zu erhalten! Wäre es nicht erstrebenswert, wenn der alte sportliche Geist der Kameradschaft, der Fairness, der Hilfsbereitschaft - das heißt also, wenn jener alte Idealismus, der unter einer solchen Fahne Selbstverständlichkeit war, wieder etwas aufleben würde? Ich möchte dabei besonders an alle diejenigen erinnern, die aus dieser Überzeugung für unseren Verein gearbeitet haben, durch die er überlebt hat und durch die er weiterleben wird . Denn Leben und Fortbestand eines solchen Vereins beruht auf dem aktiven Wirken der SPORTLER, der Treue der MITGLIEDER, aber auch – und dies nicht zuletzt - auf der selbstlosen Arbeit derer, die ihn leiten - Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle im Namen ALLER, denen an diesem Verein und seinem Leitgedanken liegt, herzlichen Dank sagen. Wenn heute die traditionsbeladene Fahne dieses Vereins neu geweiht wird, so im Namen von über 1000 Vereinsmitgliedern, die sich zusammensetzen aus 6 Abteilungen: nämlich Turnen, Fußball, Leichtathletik, Tischtennis, Karate und Badminton, also aus Sportlern mit verschiedenen Interessen, verschiedenen Altersklassen und mit mehr oder weniger Beziehung zu der alten, ursprünglichen Tradition dieses Vereins und seiner Fahne. Das Beste, was man diesem Verein und seiner heute neu zu weihenden Fahne wünschen kann ist, daß ein möglichst großer Teil dieser Sportler sich aus Überzeugung erneut verpflichtet und gefordert fühlt, sich für ein solches Symbol im ALTEN Sinne NEU einzusetzen. Dann wird der TUS WACHENHEIM eine gute Zukunft haben. Und dies wünsche ich diesem TuS, seiner Fahne und uns allen.